
Dr. Dennis Böttcher
Behandlungszeitpunkte in der Kieferorthopädie – anomaliebezogene Einordung des idealen Behandlungszeitpunktes
Kaum einer Frage kommt in der Kieferorthopädie eine so große Bedeutung zu, wie derjenigen nach dem optimalen Behandlungszeitpunkt. Teilweise wurden und werden aufgrund der individuellen Beurteilung des jeweiligen Patientenfalls sehr unterschiedliche Behandlungszeitpunkte für vergleichbare Anomalien gewählt. Daher ist die Frage „Wie weit dürfen Leitlinien eingrenzen?“ von besonderer Bedeutung. Die aktuelle S3-Leitlinie bietet für viele Anomalien eine Antwort mit dem höchstmöglichen Evidenzgrad. Im Vortrag erfolgt eine Einordnung von Anomalien anhand von Patientenfällen mit Vor- und Nachteilen des gewählten Behandlungszeitpunktes unter besonderer Berücksichtigung der Anpassung der Behandlungsplanung.

Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen
Einführung der europäischen S3-Leitlinien zur Therapie der Parodontitis und Periimplantitis in Deutschland
S3-Leitlinien bieten für die Praxis eine wichtige Orientierung bei der klinischen Entscheidungsfindung zur Auswahl der besten Therapieoption. Eine europäische S3-Leitlinie zur Therapie der Parodontitis im Stadium I-III aus dem Jahr 2020 hat erstmals die gesamte Therapiestrecke der Parodontitis strukturiert und gibt eine Vielzahl von Empfehlungen zu den einzelnen Therapiestufen. Sie wurde sehr rasch auf die Verhältnisse in Deutschland angepasst und diente als Vorlage für die aktuelle PAR-Richtlinie. Die weit fortgeschrittene Parodontitis im Stadium IV erfordert zumeist eine interdisziplinäre Therapieplanung. Eine entsprechende europäische S3-Leitlinie wurde 2022 publiziert und wird gegenwärtig in Deutschland von der DG PARO gemeinsam mit vielen anderen Fachgesellschaften angepasst und konsentiert. Ganz aktuell wurde im Sommer 2023 nun auch eine S3-Leitlinie zur Prävention und Therapie periimplantärer Erkankungen vorgestellt und soll im Jahr 2024 in Deutschland verabschiedet werden. Dieser Vortrag gibt einen Überblick über all diese für die Praxis sehr bedeutsamen und sehr hilfreichen Entwicklungen.

Prof. Dr. Hans-Joachim Nickenig
Dentale digitale Volumentomographie: Konflikt zwischen rechtfertigender Indikation und verbesserter Diagnostik
Mit der Fachkunde (dentale) „digitale Volumentomographie (dDVT)“ wird die Grundfachkunde der zahnärztlichen Radiologie durch ein 3-D-bildgebendes Verfahren ergänzt. Für bestimmte, aber nicht alle zahnmedizinischen Fragestellungen erlangen wir durch die dreidimensionale Diagnostik einen erweiterten und dimensionsgetreuen Befund. Für die zahnärztliche Praxis ist es von großer Bedeutung für welche (auch allgemein zahnmedizinische) Fragestellungen die Anwendung dieses Verfahrens Sinn macht und die in den meisten Fällen höhere effektive Dosis fachlich gerechtfertigt ist. Es stellt sich die Frage der radiologischen Alternativen zum dDVT sowie der Zukunftsausrichtung, weiteren technischen Entwicklung und dem Mehrwert für unseren Praxisalltag.

Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz
Weisheitszahn-Leitlinie: Anpassungen von Handlungsempfehlungen durch Updates
Die Leitlinien der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften sind systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte und Patienten zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen (Handlungsempfehlungen). Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) bereits in seinem Sondergutachten 1995 gebeten, die Entwicklung von Standards, Richtlinien, Leitlinien und Empfehlungen voranzutreiben und zu koordinieren. Die Fachgesellschaften in der AWMF, so auch die DGZMK und weitere, haben diese Aufgabe angenommen und begonnen, Leitlinien zu entwickeln. Leitlinien beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren und sorgen für mehr Sicherheit in der Medizin. Somit stehen Ergebnisse klinischer Studien (externe Evidenz) und klinische Erfahrung (praktische Expertise und Empirie) auf Augenhöhe gegenüber und ergänzen sich. Die Entscheidung darüber, ob einer bestimmten Empfehlung gefolgt werden soll, muss vom Arzt unter Berücksichtigung der beim individuellen Patienten vorliegenden Gegebenheiten und der verfügbaren Mittel getroffen werden. Somit ist auch unsere Therapiefreiheit zu 100% gewahrt. Am Beispiel der Weisheitszahn-Leitlinie, die erstmals 1997 publiziert wurde, kann verdeutlicht werden, dass diese Handlungsempfehlungen über die Zeit dynamisch sind und durch Updates alle fünf Jahre die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigen.

Prof. Dr. Ina Nitschke, MPH
Passen die Leitlinien auch für die heterogene Gruppe der Senioren?
Leitlinien sind im Therapieentscheidungsprozess wichtig. Aber passen sie wirklich für alle Patientinnen und Patienten? Können wir dies erwarten? Die Zahnmedizin für betagte und hochbetagte Patientinnen und Patienten ist nicht ganz so schwierig wie oft gedacht, wenn die Behandelnden die Alterserkrankungen kennen und verstehen. Auch sollte berücksichtigt werden, dass der Alterungsprozess viele Anstrengungen für die Patienten birgt. Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie deren Teammitglieder sehen ihre alten Patienten zunehmend beschwerdeorientiert mit einem meist subjektiv reduziert empfundenen Behandlungsbedarf (oral-geriatrisches Paradoxon). Seniorenzahnmedizin ist abwechslungsreich im Praxisalltag, wenn gute Strukturen etabliert sind: Versorgungsdiagnose stellen, die funktionelle Kapazität klären und die Nachsorgekompetenz der Patienten vorausschauend einschätzen und in Planungen einbeziehen.
Ist beim Vorliegen von geriatrischen Erkrankungen (Multimorbidität) ein strenges leitliniengerechtes Vorgehen das Beste bzw. überhaupt machbar? Gibt es ein zahnärztliches Problem beim älteren Patienten, sollte das Wissen aus den Leitlinien bei der ersten Betrachtung eine Grundlage für die Entscheidungsfindung sein. Dann ist jedoch bei den Betagten und Hochbetagten auch noch deren zahnmedizinische funktionelle Kapazität, die sich in einer Belastbarkeitsstufe beschreiben lässt, zu berücksichtigen. Senioren gehören entweder zu der Gruppe der fitten, gebrechlichen oder pflegebedürftigen Menschen. Den Bedarfen und Bedürfnissen dieser Patientengruppe gerecht zu werden, ist ein spannender Aspekt im zahnärztlichen Alltag.

Prof. Dr. Kerstin Galler
Die neue S3-Leitlinie in der Endodontie
Evidenzbasierte Behandlungskonzepte gewinnen auch in der Zahnmedizin zunehmend an Bedeutung. Im Themenbereich Endodontie hat die Europäische Gesellschaft für Endodontologie in 2022/23 den Prozess zur Erstellung einer S3-Leitlinie zur Behandlung der Pulpitis und der apikalen Parodontitis durchlaufen und entsprechende Empfehlungen veröffentlicht. Dieser Beitrag wird zunächst thematisieren, wie S3-Leitlinien generell zustande kommen. Die konkreten Empfehlungen der Leitlinie zur Endodontie werden durchgesprochen und es wird diskutiert, wie diese einzuschätzen sind.

Prof. Dr. Dr. Hendrik Terheyden
Dimensionsreduzierte Implantate versus Augmentation
Die Literatur und daraus abgeleitete Leitlinien sprechen sich häufig für dimensionsreduzierte (kurze und schmale) Implantate als eine (vermeintlich) geringer invasive Alternative zu konventionellen Implantaten aus. Die Evidenzlage ist möglicherweise durch Publikationsbias und kurze Studiendauern verzerrt. Implantatfrakturen treten häufig erst spät auf. In Metaanalysen kippte die Prognose kurzer Implantate nach fünf Jahren Beobachtungsdauer. Das Beispiel der dimensionsreduzierten Implantate zeigt, dass eine differenzierte Betrachtung mit Wertung der Evidenz und der Empirie notwendig ist, denn Zahnärztinnen und Zahnärzte möchten in der Regel eine lange Funktionsdauer zusichern.